Die Grenzen der Macht: Was tun, wenn sie überschritten werden?

Montag, 22. Jänner 2024

Eine Führungskraft stellt den Assistenten im Meeting vor versammelter Runde bloß. Die Teilnehmenden sind betreten. Aber lohnt es sich überhaupt, aufzustehen und das Wort zu erheben? Eine sehr persönliche Frage, die einen philosophischen Ansatz enthält. Schließlich geht es nicht nur um uns selbst, sondern auch um unsere Mitmenschen.

Dazugehören um jeden Preis?

Wir beobachten es in Familien, am Arbeitsplatz, in Vereinen oder Glaubensgemeinschaften. Keine soziale Ebene ist vor diesem Prozess gefeit: Wenn Menschen in Gruppen zusammenkommen, besteht eine Tendenz zur Kohäsion. Das bedeutet, dass sich Gemeinsamkeiten finden und immer stärker herausbilden. Dieses Phänomen führt dazu, dass sich einzelne Personen hervortun und durch ihre Dominanz einen Steuerungseffekt haben. Wenn solche Personen in der Gruppe stark werden und respektloses Verhalten zeigen, besteht die Gefahr, dass die Gruppe nicht mehr stark genug ist, dieses Handeln zu beurteilen und einzugreifen.

Besonders, wenn sich der Fokus innerhalb einer Gruppe auf eine einzelne Person richtet und diese respektlos behandelt wird, fällt es vielen schwer, das Wort zu ergreifen. Und das, obwohl allen bewusst ist, dass ein solches Machtspiel keinesfalls toleriert werden sollte.

Im Fokus der Gruppe: Wenn es gefährlich wird

Ist in der Gruppe ein Opfer gefunden, beginnen meist ein oder zwei Personen, es zu attackieren. Handelt keines der Mitglieder dagegen, sind sie sozusagen mitgefangen: Um nicht als Verräter zu gelten, müssen sie dabeibleiben. Oder schlimmer: Um sich zu beweisen, müssen sie mitmachen. Wer sich mehr traut, erhält mehr Ansehen. Ein bisweilen krankes Spiel, bei dem jeder Respekt vor dem Opfer verloren geht. Gelingt es der attackierten Person nicht, den Spieß umzudrehen, endet das Spiel als »Gewinn« für die Täter.

Die oft verwendete Phrase des »respektvollen Miteinanders« funktioniert nur beidseitig. Es gilt, nicht zum Mittäter oder zum Spielball zu werden, wenn andere unfair behandelt werden. Oft genügt es, deutlich anzusprechen, was man wahrnimmt. Das bedeutet, Respekt zu zeigen und einzufordern, wenn es notwendig ist.

Der Faktor Zeit

Machtpersonen in Gruppen tendieren dazu, ihre »Spiele« auszuweiten, wenn ihnen keine Grenzen gesetzt werden. Je länger gewartet wird, desto schwieriger ist es, zu einem Grundrespekt zurückzukehren. Der Faktor Zeit spielt eine wesentliche Rolle in der Entstehung von Konflikten – und im Abbau von Respekt. Der österreichische Ökonom und Konfliktforscher Friedrich Glasl zeigt in seinem Modell der Konflikteskalation, wie aus einer leichten Verhärtung der Beziehung ein Sturz in den Abgrund werden kann. Je früher ein Eingreifen in respektlose Handlungen stattfindet, desto weniger Emotion ist im Spiel und desto einfacher lassen sich Konflikte noch abwenden.

Steh jetzt auf!

Es mag einiges an Überwindung kosten, besonders in einer Gruppe, die Grenzen der Macht aufzuzeigen und einzugreifen. Doch muss in Konfliktsituationen frühzeitig reagiert werden. Nicht nur um eine benachteiligte Person zu unterstützen, sondern um einer guten Kommunikationskultur willen. Erstrebenswert ist eine Kultur, in der solide Gespräche und Ergebnisse erzielt werden, denn Gruppendenken und ungesunde Kohäsion führen nachhaltig zur Erosion von Respekt und Menschlichkeit.

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